Michel Mayor - Nobelpreis für Physik : Interview
Nachdem er 1994 den ersten Exoplaneten entdeckt und 2019 den Nobelpreis bekommen hat, wird der Astrophysiker Michel Mayor dank zweier junger Genfer Autoren eine Comicfigur ins Ab ins Universum.
Wir haben ihn getroffen.
1. Woran denken Sie, wenn Sie in den Sternenhimmel schauen?
Michel Mayor: Vom ersten Blick an empfinde ich pure Bewunderung. Ich bin sehr empfänglich für die Schönheit des Himmels, vor allem, wenn die Sterne gut zu sehen sind; wir leben in einer Welt mit zu viel Licht.
In den Observatorien, insbesondere in Chile, sind wir von Dunkelheit umgeben. Es gibt weder Städte noch Dörfer in der Umgebung, und wir schalten unsere Taschenlampen nur an, wenn es absolut notwendig ist. Der Teil der Milchstrasse, den man von dort aus, also auf der Südhalbkugel, sehen kann und der das Zentrum der Galaxie bildet, ist einfach wunderschön. Es gibt diese Vorstellung, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem die mathematische Dimension des Himmels wahrnehmen, aber das stimmt nicht! Wenn ich in den Himmel schaue, versinke ich ganz kontemplativ in der Betrachtung, sonst nichts.
2. Es gibt verschiedene Instrumente, mit denen der Himmel erforscht wird. Welche davon finden Sie besonders bemerkenswert?
Das ist schwer zu sagen. Das Instrumentarium ist derart vielfältig! Ich könnte das Teleskop ALMA nennen, ein Interferometer, bestehend aus 60 Parabolantennen mit grösstenteils 12 Metern Durchmesser auf 5000 Metern Höhe, mit dem man das »kalte Universum« beobachten kann, also die Entstehung von Galaxien, Sternen, Planeten, Gaswolken zwischen den Sternen usw.
Es gibt auch Instrumente, die mir deswegen am Herzen liegen, weil ich an ihrer Entwicklung beteiligt war. Meine Bewunderung gilt jedoch vor allem jenen Instrumenten, die die Entdeckung der Gravitationswellen ermöglicht haben. Diese Detektoren sind in der Lage, die winzigen Stauchungen und Streckungen zu registrieren, die alle Objekte erfahren, wenn sie von diesen Wellen durchlaufen werden.
Als ich damals mit der Astronomie angefangen habe, haben wir hauptsächlich mit Fotoplatten gearbeitet, einer äusserst ineffizienten Technik.
3. Welche Rolle spielt die Vorstellungskraft für Sie in Ihrer Arbeit und in Ihrem Leben insgesamt?
Für die Grundlagenforschung sind Intuition, Neugier und Vorstellungskraft enorm wichtige Triebfedern, mit Planung kommt man da nicht weit.
Man liest einen wissenschaftlichen Artikel, und plötzlich hat man eine Eingebung: So bin ich beispielsweise auf die Idee gekommen, die Störungen in den Umlaufbahnen der uns umgebenden Sterne zu analysieren, um Exoplaneten ausfindig zu machen.
Ein anderes Mal war ich in den USA, in Cambridge, MA, auf einer Konferenz über Theoretische Physik. Während der Kaffeepause bot man uns an, einen Rundgang durch die Kuppeln des Observatoriums zu machen. Als der Theoretiker, der ich damals war, haben mich diese Kuppeln eigentlich herzlich wenig interessiert ... Ich bin trotzdem mitgegangen und habe dabei zufällig die Bekanntschaft eines englischen Astronomen gemacht. Er versuchte, eine neue Art von Instrument zu basteln, den ersten »Korrelations«-Spektrografen der Welt. Da durchfuhr mich die Erkenntnis wie ein Blitz: »Das ist es! Genau das müssen wir machen!« Ich bin nach Genf zurückgeflogen, habe meinem Direktor mitgeteilt, dass ich dieses Instrument entwickeln will, und er hat eingewilligt. Dieser Koinzidenz haben wir es zu verdanken, dass wir den ersten Exoplaneten entdeckt haben.
Diese Eingebungen lassen sich nicht planen … Nichtsdestotrotz winkt das Glück in der Regel denjenigen, die vorbereitet sind. Wenn man also ein gewisses Mass an Kenntnissen besitzt, kann der rettende Einfall kommen.
4. Am Anfang von Ab ins Universum!, einer Graphic Novel, deren Held Sie sind, sieht man Sie umringt von einer Horde Bewunderer. Wie erleben Sie Ihre Bekanntheit im echten Leben?
So eine Szene hat sich tatsächlich abgespielt: Nach einer Konferenz an der Universität von Marrakesch standen Hunderte von Studierenden um mich herum, die Selfies mit mir machen wollten, was dazu führte, dass ich nicht mehr aus dem Saal herauskam.
In der ersten Zeit nach dem Bekanntwerden der Entdeckung des ersten Exoplaneten fühlte ich mich sehr unter Druck und habe viele Medienanfragen erhalten. Das hat vor allem mein Familienleben teilweise beeinträchtigt. Und die Presse hat das Konkurrenzgefühl zu anderen Forschungsteams angestachelt. Das hat sich ungefähr nach fünf Jahren wieder beruhigt.
5. Sie blicken auf eine lange Karriere zurück. Welche Aspekte Ihrer Arbeit haben Ihnen am besten gefallen?
Ich habe in einem interessanten Gebiet geforscht und die Arbeit hat mir persönlich immer Freude gemacht. Dazu kommt, dass die Orte, an denen die Observatorien stehen, nicht die hässlichsten sind. Ich habe viel Zeit im Observatoire de Haute Provence verbracht. Ich hatte dort einen eigenen Bungalow zur Verfügung, in dem ich meine ganze Familie unterbringen konnte. Als meine Kinder klein waren, haben sie mich oft begleitet, und ich habe sehr schöne Erinnerungen an diese Momente. Meine Familie hat mich auch mehrere Male nach Chile begleitet.
Ausserdem gibt es insgesamt zwar natürlich Tausende von Astronomen, aber es sind jeweils nur einige Hundert Personen, die in einem bestimmten Teilgebiet arbeiten. Sie bilden eine kleine Gemeinschaft, und dadurch hat man ein bisschen das Gefühl, Teil einer grossen Familie zu sein. Bei mir zu Hause habe ich Wissenschaftler*innen aus China, Japan, Dänemark usw. Beherbergt. Ich habe diese Begegnungen immer sehr geschätzt.
6. Passiert es Ihnen manchmal, dass Sie sich vorstellen, wie extraterrestrisches Leben irgendwo im Universum möglicherweise aussehen könnte? Zum Beispiel auf Exoplaneten?
Ja, natürlich. Für mich fängt Leben schon bei den Einzellern an. Klar, danach können die Zellen sich zu grösseren Einheiten zusammenschliessen. Aber wenn ich an Leben denke, denke ich in erster Linie an einfache Lebensformen. Ich finde es interessant, auf Exoplaneten nach Leben zu suchen. Aber im Sonnensystem gibt es ebenfalls faszinierende Orte. Nehmen wirzum Beispiel einen der Jupitermonde, Europa: Auf seiner Oberfläche schwimmt Packeis auf Wasser. Was hat sich in den letzten Jahrmilliarden darunter abgespielt? Stellen Sie sich vor, wir würden in 20 Jahren eine Weltraummission dorthin schicken, um einen Kubikmeter Eis zu entnehmen. Stellen Sie sich vor, wir würden ein paar Einzeller darin finden ... Ob ihre DNA wohl die gleiche wäre wie die auf der Erde? Gibt es überall im Universum vielleicht eine Art einheitliche DNA? Ich glaube, dass die Suche nach Leben im Sonnensystem ein wesentliches Forschungsgebiet werden wird.
Wir haben eine schrecklich begrenzte Sicht auf das Leben, weil wir auf der Erde nur eine einzige – wenn auch sehr vielfältige – Erscheinungsform des Lebens kennen. Alle lebenden Organismen stehen in einem ausgeprägten Verwandtschaftsverhältnis, was man an unserer DNA ablesen kann.
Ich bin überzeugt, dass die Physik überall im Universum dieselbe ist. Und meiner Meinung nach ist auch die Kohlenstoffchemie die Grundregel, die erste Voraussetzung für Leben überall im All. Die Suche nach Leben im All basiert in den allermeisten Fällen darauf: Man bemüht sich, einen Felsenplaneten zu finden, auf dem es Wasser in flüssiger Form gibt. Mindestens 200 Millionen Planeten erfüllen in unserer Galaxie diese Bedingungen.
Den Menschen macht häufig die Unendlichkeit des Universums zu schaffen, seine Grösse. Beim Thema Zeitdauer sind die meisten Leute hingegen weniger empfindsam. Das menschliche Leben ist nicht darauf ausgerichtet, sie wahrzunehmen. Mehrere Millionen Jahre zu haben, in denen sich chemische Prozesse abspielen, können wir uns nur schwer vorstellen. Wir haben überhaupt kein Gefühl, kein Sinnesorgan dafür, was in derart riesigen zeitlichen Dimensionen alles passieren kann.
7. Was halten Sie von den Privatinitiativen, die eine Besiedelung des Mars anstreben?
Eher nicht so viel. Aber Vorsicht: Eine Forschungsmission ist fabelhaft. Wie damals, als der Mensch erstmals den Mond betreten hat. Das wissenschaftliche Interesse war gar nicht besonders gross, aber das Ganze hat die Menschen beflügelt, ihren Träumen neue Nahrung gegeben. Sagen zu können, dass der Mensch dort hinaufgeflogen ist, das ist schon grossartig.
Eine ähnlich gelagerte Mission zum Mars fände ich wunderbar. Aber wenn ich jemanden davon reden höre, in gut 100 Jahren würden Millionen von Menschen auf den roten Planeten auswandern, erscheint mir das schwachsinnig. Welches Interesse hätten wir denn daran? Der Mars hat keine Atmosphäre, nichts schützt diesen Planeten vor kosmischer Strahlung. Die Erde hingegen, die verdient unsere Aufmerksamkeit und Fürsorge: Sie ist ein angenehmer, lebenswerter Ort. Wenn wir uns bei etwas anstrengen müssen, dann ist es der Kampf gegen die Klimaerwärmung auf der Erde. Und das Ergebnis dieser Anstrengungen wird nicht nur einige privilegierte Personen betreffen. Alles in allem: Ich sage Ja zur Erforschung, aber Nein zur Kolonisierung!
Interview und Foto: Aude Pidoux
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