Gesellschaftspiele: Frauenmangel ?

Obwohl immer mehr Frauen Gefallen an Gesellschaftspielen finden, ist die Welt der Spiele – noch – weitgehend männlich dominiert. Um sich dort zu behaupten, müssen Frauen zahlreiche Hindernisse überwinden. 

 

Von Mathilde Spriet und Ludovic Papaïs 

Logik und Strategie 

Ist euch das »Spiel des Jahres« ein Begriff? Das ist so etwas wie der Oscar im Bereich der Gesellschaftsspiele. Seit 1999 wurden erst fünf Autorinnen mit dieser Auszeichnung geehrt … aber 103 Männer. Beim As d’Or, dem grössten französischen Preis für Gesellschaftsspiele, sieht es nicht viel anders aus: Die 20 nominierten Spiele der letzten beiden Jahre gehen auf 27 Autoren und nur drei Autorinnen zurück. Zwei dieser Autorinnen sind dabei Co-Autorinnen, die das Spiel gemeinsam mit einem männlichen Kollegen entwickelt hatten. Dennoch eilt der Spielewelt der Ruf voraus, eine fortschrittliche Domäne zu sein, die darum bemüht ist, Dinge in Bewegung zu bringen. Was das Publikum betrifft, ist die Zahl der Spielerinnen im Vergleich zu den 2000er-Jahren gestiegen und nähert sichimmer mehr der Parität an. Aber obwohl Spiele, sämtliche Genres zusammengenommen, weit oben auf der Beliebtheitsskala stehen, sind Frauen als Autorinnen und Berufsspielerinnen nach wie vor unterrepräsentiert. Dies zeigt sich auch in den Spielentwürfen, die Helvetiq zugesandt werden: Weniger als 10 % der Einsendungen stammen von Frauen. Dieser Anteil deckt sich mit den Zahlen anderer Verlagshäuser.

 

 

 

Einer der wichtigsten Faktoren, die zur Unterrepräsentation von Frauen in der Gesellschaftsspielbranche beitragen, sind Geschlechterstereotypen. Gesellschaftsspiele werden häufig als Männerdomäne wahrgenommen, was für Frauen ein entmutigendes Hindernis darstellt. Stereotypen in Bezug auf die erforderlichen Fähigkeiten wie logisches oder strategisches Denken spielen ebenfalls eine Rolle bei der Selbstzensur von Frauen. Ein Blick auf die Cover von Spieleverpackungen offenbart dieses Unsichtbarmachen von Frauen weiter: »Eine Studie hat ergeben, dass nur bei 5 % der untersuchten Spiele ausschliesslich Frauen auf dem Cover abgebildet sind. In 5,8 % der Proben ist eine Personengruppe zu sehen, die mehrheitlich aus Frauen besteht, und 62,6 % hatten ein Cover, auf dem ausschliesslich Männer abgebildet waren«, stellte die Redakteurin Erin Ryan 2016 auf der Webseite The Cardboard Republic fest. Bis heute finden sich auf den Schachteln von Gesellschaftsspielen mehr Ausserirdische und Tiere als Frauen … So kommt es, dass Spieleautoren zwar endlich aus einer Nische heraustreten und Anerkennung erfahren und dass Brettspielfans anfangen, der Veröffentlichung des nächsten Spiels ihres Lieblingsautors (etwa Bruno Cathala, Antoine Bauza oder Reiner Knizia, um nur einige zu nennen) entgegenzufiebern, auf diesem Gebiet aber nach wie vor ein eklatanter Frauenmangel herrscht. 

Kinder hütten

Abgesehen von den oben beschriebenen Geschlechterstereotypen, die Frauen ausbremsen, gibt es weitere Faktoren, die erklären, warum Spieleautorinnen zahlenmässig unterrepräsentiert sind. Wie in vielen anderen Bereichen schlägt das Fehlen von weiblichen Vorbildern ebenso zu Buche – obwohl es endlich einige bekannte Autorinnen gibt, beispielsweise Elisabeth Hargrave oder Sophia Wagner– wie die Tatsache, dass Frauen grundsätzlich weniger ernst genommen werden und sie seltener dazu ermutigt werden, ihr kreatives Talent auszuleben. Weiter beginnt der berufliche Weg eines Spieleautors bzw. einer Spieleautorin in der Regel damit, dass er oder sie sich vor allem in der Freizeit mit der Spieleentwicklung befasst: Eine Vollzeittätigkeit mit ausreichendem Auskommen daraus zu machen, gelingt nur den wenigsten. Verschiedene Studien beweisen aber, dass Frauen in der westlichen Welt jeden Tag eine halbe Stunde weniger Freizeit zur Verfügung steht als Männern. »Die Arbeiten im Haushalt, insbesondere die Kinderbetreuung, sind nach meinem Dafürhalten die Hauptursache für die ungleich verteilte Zeit für kreative Tätigkei-ten zwischen Frauen und Männern«, erklärt Elisabeth Hargrave, die Flügelschlag, Mariposas und andere Erfolgsspiele entworfen hat. Ein bezeichnendes Beispiel dafür: Laut einer Studie, die das Center for Women während der Covid-Pandemie durchführte, haben Frauen durchschnittlich 173 Extrastunden unbezahlte Kinderbetreuung geleistet, während es bei Männern nur 59 Stunden waren.

Kein Studiengang 

Richtet man den Blick auf die Spieleverlage, so ist es nicht so, dass in den Verlagen keine Frauen arbeiten. Sie sind dort jedoch meist im Hintergrund und nicht unbedingt in leitender Funktion tätig. Man findet Frauen eher in weniger entscheidenden Positionen wie in Marketing, Kommunikation oder in der Verwaltung. Genauso wie beim Beruf des Spieleautors oder der Spieleautorin gibt es auch keinen speziellen Studiengang, um Verleger oder Verlegerin von Spielen zu werden. Und da Frauen weniger dazu neigen, sich auf eine Stelle zu bewerben, für die sie nicht die nötigen Kompetenzen zu haben glauben, gehen Männer hier mit einem Vorteil ins Rennen. Die Unterrepräsentation von Frauen als Autorinnen und Fachkräfte in der Gesellschaftsspielbranche ist ein komplexes Problem, das, wie in jedem anderen Bereich, höchste Aufmerksamkeit erfordert. Um Diversität und Inklusion zu fördern, ist es von entscheidender Bedeutung, Geschlechterstereotypen zu hinterfragen, weibliche Talente aktiv zu unterstützen und einen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen und zu beruflichen Netzwerken zu schaffen. Helvetiq ist ein schönes Gegenbeispiel dafür: Unser Unternehmen zählt derzeit vier Männer und 15 Frauen!